Hallöchen,
so wie es sich für eine echte Königin anscheinend gehört, scheint sie einen richtigen Hofstaat um sich zu versammeln, sowohl was die diversen sie umschwirrenden Namensgebungen angeht, als auch womöglich die Anzahl ihrer - adeligen oder nicht adeligen Gefolgsleute – ähm –Pflanzen …
Im Ernst, ich versuche daher, basierend auf der hervorragenden bereits erwähnte Arbeit von Herrn Eckard Meier in der EPIG Nr. 56 (2006), nun etwas Ordnung in die anscheinen nach wie vor bestehenden Unsicherheiten zu bringen:
In sehr vielen unserer Sammlungen findet sich eine Pflanze, die typische Merkmale eines Heliocereus speciosus (heutiger Name Disocactus speciosus ssp. speciosus) und die eines großblumigen Selenicereus (möglicherweise S. grandiflorus, aber vielleicht auch irgend ein Angehöriger einer anderen ähnlichen Selenicereus-Art) in sich vereint. Die wesentlichsten dieser Merkmale sind die (ohne sich nun auf eine konkrete Maßangabe festlegen zu wollen) „riesengroße“ rote Blüte mit magenta Schimmer (als markantes Abstammungsmerkmal des D. speciosus) und der etwas sparrige, d. h., für Epicactus- bzw. Disocactus-Sammler vergleichsweise viel Platz beanspruchende Wuchs eines typischen Selenicereus. Es ist eindeutig eine Hybride, aber über die genaue Herkunft weiß eigentlich niemand so richtig Bescheid, und da man ja stets versucht ist, jeder sammelnswerten Pflanze auch einen Namen zu geben, sind in der Vergangenheit teilweise von findigen Leuten mehrere solcher Namen vergeben worden. Genauso ist auch im Grunde unklar, ob es sich überall wirklich genau um denselben Klon handelt, oder ob es andererseits nicht gar mehrere solcher Individuen gibt, die alle zwar irgendwie ähnlich, aber dann doch im Detail womöglich etwas anders aussehen.
Die vorliegende Pflanze von Claudia ist ja ein ganz typisches Paradebeispiel hierfür. Ist es nun (trotz der abweichenden Farbnuancierung) ebenfalls in Wahrheit eine dieser Roten Königinnen, oder gar eine „Kaiserin“ oder nur sonst ein Angehöriger am königlichen Hof, wer weiß das schon?
Eckard Meier berichtet u. a., dass bereits Mitte des 19. Jahrhunderts eine Hybride als „Cereus maynardi“ beschrieben worden war (Paxton 1847). Allerdings gibt es jene Pflanze schon lange nicht mehr und die von damals überlieferte Beschreibung passt auch definitiv nicht zu den heute anzutreffenden Pflanzen. Dennoch wird der Name „Maynardii“ – so oder auch nur ähnlich geschrieben – oft auch heute noch fälschlicherweise für die heute bekannte Pflanze verwendet. Und um von diesem irreführenden weil eigentlich falschen Namen wegzukommen, hat sich stattdessen im deutschen Sprachraum eben der neutrale Name ‚Rote Königin‘ eingebürgert.
Es gibt dann noch eine andere aus alten Zeiten überlieferte ähnliche Hybride, von Hooker 1870 als „Cereus fulgidus“ beschrieben. Die Beschreibung hierzu passt zu unserer heutigen Roten Königin deutlich besser als die des „Cereus maynardi“, aber auch hier geht man heute davon aus, dass es sich nicht mehr um diese, sondern um eine andere womöglich später wiederholte Zucht handelt.
Um den Bogen zu dem hier verwendeten Namen „Heliocereus boeckmannii zu schlagen, diesen Namen verwendet Eckhard Meier in seinem Bericht definitiv nicht. Da er jedoch ein ausgewiesener Kenner dieser Materie ist, darf mit Sicherheit davon ausgegangen werden, dass dieser Name im Zusammenhang mit einer ähnlichen Pflanze definitiv zumindest zu dem Zeitpunkt, als der Artikel verfasst wurde (2006), nicht existierte oder zumindest nicht allgemein geläufig war.
Ein paar allgemeine Worte zur Namensgebung: Während man botanische Artnamen, also für solche Pflanzen, die von irgendwo ihre natürliche Herkunft haben und nicht erst von Menschenhand als Hybriden geschaffen wurden, schon immer in lateinischer Sprache und mit kleingeschriebenem Anfangsbuchstaben schreibt, werden im Gegensatz hierzu die Sortennamen von Hybriden mit aus einem oder mehreren Worten bestehenden eindeutig nichtlateinischen Begriffen mit großen Anfangsbuchstaben gebildet, wobei man diese Begriffe dann, wenn man es genau nimmt, in halbe Anführungszeichen setzt. (z. B.: Disocactus macranthus vs. Epicactus ‘Frühlingsfreude‘).In der botanischen Frühzeit, also vor etwa 100 Jahren, hat man allerdings diese Unterscheidung so noch nicht gemacht und auch, wie die o. g. Beispiele zeigen, für Hybriden lateinische Begriffe verwendet, aber spätestens seit etwa zehn oder etwas mehr Jahren sollte jene Unterscheidung für ernsthafte Hybridenzüchter eigentlich bekannt sein.
Das heißt aber wiederum, da es eine botanische Art Heliocereus boeckmannii definitiv nicht gibt, dass es sich entweder um einen sehr alten Hybridennamen handeln müsste (der jedoch Herrn Meier definitiv hätte bekannt sein müssen), oder aber dass er erst in neuerer Zeit entstanden und damit nach den anerkannten Namensregeln ungültig sein muss. Vielleicht hat sich auch irgendjemand besonders wichtig machen wollen und ganz einfach diese Namenskombination erfunden, womöglich als Kurzfassung der (bekannten oder auch nur spekulierten) These, dass es sich um eine Hybride zwischen einem Heliocereus und jenen Selenicereus boeckmannii (dessen Name ja durchaus irgendwo noch auf dem Etikett gestanden haben mag) handele.
Ich selbst besitze übrigens ebenfalls zwei Exemplare dieser ‚Roten Königin‘, die allerdings noch nicht ganz ihre blühfähige Größe erreicht haben, habe aber bereits Original-Blüten bei Freunden gesehen, welche im Übrigen zumindest den Fotos von Arnhelm zum Verwechseln ähnlich sahen. Interessanterweise habe ich eines meiner Exemplare von einer sehr bekannten Kakteengärtnerei unter dem Namen “Selenicereus Millers Mainhardii“ erworben. Da hat sich also der anfangs erwähnte alte Begriff nochmals weiter verselbständigt… Und wer ist eigentlich jene(r) Herr oder Frau Miller, etwa derjenige, dem seinerzeit die Nachzucht jener alten Kreuzung gelungen ist, oder doch nur der nette Sammler, der damals einen Steckling seiner Pflanze jener Gärtnerei zur weiteren Vermehrung überlassen hatte? Man muss allerdings den Kakteenliebhabern in der damaligen DDR zugute halten, dass aufgrund der politischen Umstände der gezielte internationale Gedankenaustausch nicht so einfach wie heute war, das Internet in dieser heutigen Form noch nicht existierte und man somit weitgehend auf sich selbst gestellt war, was dann wohl auch zu der einen oder anderen fantasievollen Namensgebung geführt haben mag.
Wer mehr über die Rote Königin erfahren möchte, dem empfehle ich wirklich die Literatur jenes erwähnten Artikels in der EPIG. Diese von der EPIG herausgegebenen Hefte sind im Übrigen aufgrund ihres großen Informationsgehalts meine Lieblingslektüre in Bezug auf epiphytische Kakteen und aus diesem Grund auch ganz allgemein eine Empfehlung wert. Wer noch nicht Mitglied der EPIG ist, kann dies ja nun zum Anlass nehmen, es zu werden… Und wer es ganz eilig hat, den zitierten Artikel von Eckard Meier kann man auch in einer genehmigten Zweitausgabe im Internet nachlesen, näheres bei Bedarf dann per PN.
Gruß
Horst